Brief von Wissenschaftlern an die Bundesregierung (21.06.2025)

In dem Brief heißt es unter anderem: "Wir möchten Sie daher daran erinnern, dass Deutschland als Vertragsstaat der Vereinten Nationen, der UN-Völkermordkonvention und des Römischen Statuts rechtlich und politisch dazu verpflichtet ist, das Völkerrecht zu schützen, Völkerrechtsverbrechen zu verhindern und – soweit sie individuell zurechenbar sind – die strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen aktiv zu unterstützen. Der Internationale Gerichtshof hat im Fall Bosnien und Herzegowina vs. Serbien und Montenegro (Art. 430f) klargestellt: Alle Staaten, besonders einflussreiche, sind verpflichtet, Völkermord zu verhindern. Mit der aktiven Ignoranz gegenüber dieser Verpflichtung verletzen Sie als verantwortliche Exekutive nicht nur internationales Recht, sondern auch die deutsche Verfassung. Dies bekräftigten bereits im April 2024 rund 600 Beamt:innen verschiedener Bundesministerien in einem offenen Brief:

„Israel begeht in Gaza Verbrechen, die in klarem Widerspruch zum Völkerrecht und damit zur

deutschen Verfassung stehen, an die wir als Bundesbeamte und Angestellte im öffentlichen

Dienst gebunden sind.“

Schon im Oktober 2023 machten über 800 Expert:innen aus den Bereichen Völkerrecht sowie

Konflikt- und Völkermordforschung auf die Gefahr eines drohenden Genozids aufmerksam.

Israels Offensive in Gaza wurde von Anfang an von genozidalen Äußerungen führender

israelischer Politiker begleitet (vgl. Südafrikas Dossier). Israel setzte direkt zu Beginn Hunger

als Kriegswaffe ein, und die israelische Armee warf allein in den ersten sechs Tagen

laut eigenen Angaben 6.000 Bomben in Gaza ab, die mehr als 1.400 Menschen töteten. Im

November 2023 forderten UN-Expert:innen Schutzmaßnahmen, um einen Völkermord zu

verhindern, und bereits im Dezember 2023 stufte das Lemkin Institute for Genocide

Prevention das Vorgehen Israels als Genozid ein. Kurz darauf, im Januar 2024, entschied der

IGH im Fall Südafrika vs. Israel, dass das Risiko eines unmittelbar bevorstehenden Völkermords

besteht. Er ordnete präventive Maßnahmen im Januar, März und Mai 2024 an, die Israel

allesamt ignorierte. Hinzu kommen die internationalen Haftbefehle gegen Benjamin

Netanjahu und Yoav Gallant wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die

Menschlichkeit, die Ihre Regierung zu ignorieren sogar offen angekündigt hat. Ebenso liegen

zahlreiche Berichte der UN und von verschiedenen, einschließlich palästinensischen und

israelischen, Menschenrechtsgruppen sowie von humanitären Organisationen vor; sie alle

dokumentieren zahlreiche israelische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die

Menschlichkeit. Unter allen namhaften Holocaust- und Genozidforschern ist mittlerweile

unstrittig: Israel begeht einen Völkermord in Gaza.

UN-Expert:innen folgend fordern wir Sie daher auf, umgehend und konsequent massiven

politischen und wirtschaftlichen Druck auf Israel auszuüben, um den Völkermord an den

Palästinenser:innen zu stoppen und die illegale Besatzung zu beenden. Hierzu zählt, die im

September 2024 empfohlenen Maßnahmen umzusetzen, darunter:

● Die Verhängung eines vollständigen Waffenembargos gegen Israel, einschließlich

der Aussetzung aller Waffenabkommen, -importe, -exporte und -transfers, auch von

Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, die gegen die palästinensische

Bevölkerung unter Besatzung eingesetzt werden könnten.

● Die sofortige Überprüfung aller diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen

Beziehungen zu Israel.

● Die Ergreifung aller notwendigen Schritte, um das palästinensische Recht auf

Selbstbestimmung im besetzten palästinensischen Gebiet zu garantieren –

einschließlich der vollen Anerkennung des Staates Palästina.

● Wirtschaftliche Sanktionen und die Aufhebung oder Aussetzung der

Handelsabkommen und akademischen Beziehungen zu Israel, die seine illegale

Besatzung und das Apartheidregime unterstützen.

● Die aktive Unterstützung des IGH und des IStGH in der Dokumentation und

juristischen Aufarbeitung von Völkerrechtsverbrechen.

Angesichts der weiter eskalierenden genozidalen Gewalt Israels in Gaza und in der West

Bank, fordern wir Sie darüber hinaus nachdrücklich dazu auf, umgehend weitergehende

Maßnahmen zu ergreifen. Dazu zählen:

1. Der internationale Schutz für die palästinensische Zivilbevölkerung:

Deutschland muss sich auf internationaler Ebene aktiv für den Schutz der

Zivilbevölkerung in Gaza und in der West Bank einsetzen. Dazu gehört die ernsthafte

Prüfung militärischer Schutzmaßnahmen wie die Einrichtung von Schutz- und

Flugverbotszonen sowie die Entsendung von UN-Friedensmissionen, um weitere

Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern, die Lieferung von Hilfsgütern zu

sichern und die palästinensische Bevölkerung vor Vertreibung und Vernichtung zu

bewahren.

2. Aufnahme und medizinische Evakuierung schutzbedürftiger Geflüchteter aus Gaza:

Als Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention und der UN-

Völkermordkonvention trägt Deutschland eine besondere Verantwortung,

gefährdeten Geflüchteten aus Gaza Schutz zu bieten. Besonders schutzbedürftige

Gruppen wie Schwerverletzte, Kranke, Kinder, Schwangere, Alte und Traumatisierte

sollten im Rahmen international koordinierter humanitärer Maßnahmen unterstützt,

evakuiert und aufgenommen werden. Hierzu gehören auch die Schaffung

humanitärer Korridore und medizinische Evakuierungen in Zusammenarbeit mit

internationalen Partnern.

Außerdem – die Beendigung der repressiven Hochschulpolitik und Wiederherstellung von

Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit:

Wir fordern ein sofortiges Ende der Einschränkungen von Wissenschafts- und

Meinungsfreiheit in Deutschland. Aktuell werden kritische Stimmen zu Israels

Vorgehen und seiner Besatzung unter dem Einsatz wissenschaftlich fragwürdiger

Antisemitismus-Definitionen diffamiert, Veranstaltungen abgesagt und Proteste –

auch Studierendenproteste an Hochschulen – kriminalisiert. Dies beklagte kürzlich

auch der Menschenrechtskommissar des Europarats, Michael O’Flaherty, in einem

Brief an Innenminister Alexander Dobrindt. Eine offene, verfassungsgemäße Debatte

muss wieder möglich sein – gerade in der Wissenschaft. Die systematische

Repression und Marginalisierung von kritischen und solidarischen Stimmen trägt zur

deutschen Mitschuld an bereits begangenen und laufenden israelischen

Völkerrechtsverbrechen bei und muss enden." -

Hier der Volltext

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